18.5.2019

Alte Häuser sind für die Menschen da und nicht umgekehrt

Stadt und Land

Der Kanton Bern hat ein reiches Erbe an historischen Bauten. Die ältesten noch intakten Gebäude sind zumindest in Teilen 1000 und mehr Jahre alt. So etwa die romanischen Kirchen in der Region Thun wie die Kirchen von Amsoldingen, Einigen, Spiez oder Scherzligen. Etwas jünger sind die vielen Burgen und Schlösser, die teilweise ebenfalls noch intakt sind. Diese alten Kirchen, Burgen und Schlösser, aber auch schier unzählige andere alte Häuser in Stadt und Land wurden seit Jahrhunderten von ihren jeweiligen Eigentümern in Ehre gehalten, gepflegt, teilweise aber auch umgebaut und den Anforderungen der jeweiligen Zeit angepasst. Sie blieben aber in ihren wesentlichen Teilen erhalten und beeindrucken uns heute als stumme Zeugen ihrer Zeit.

Mehr als 10 Prozent der Gebäude inventarisiert

Obschon es also jahrhundertelang keine grösseren staatlichen Auflagen in dem Bereich gab, hat der Kanton Bern so viele schöne alte Häuser und Gebäude. Im späten 19. und vor allem im 20. Jahrhundert änderte sich das. Der Heimatschutzverein und später auch die staatliche Denkmalpflege begannen, die alten Kirchen und Schlösser zu inventarisieren und zu schützen. Später kamen auch zahlreiche Bauern- und Bürgerhäuser ins Inventar. Das führte dazu, dass im Kanton Bern über 10 Prozent der Gebäude denkmalgeschützt waren. Und zwar in zwei Kategorien: Die Kategorie "Schützenswert" ist die strengere. Die Kategorie "Erhaltenswert" ist zwar etwas weniger streng. Aber trotzdem sind die Einschränkungen erheblich.

Zunächst waren viele Hausbesitzer stolz, wenn ihr altes Haus in diesem Inventar erschien. Doch spätestens, wenn irgendwelche baulichen Änderungen anstanden, begann der Ärger. Denn der Heimatschutzverein, der sich um die erhaltenswerten und die staatliche Denkmalpflege, welche die schützenswerten Gebäude betreut, sind vorwiegend an einem möglichst genauen Erhalt der alten Häuser interessiert. Ob die Bausubstanz überhaupt noch sinnvolle Investitionen zulässt, ob die Raumhöhen, die Dämmung, das Licht in den Häusern noch zumutbar sind, das interessiert diese Institutionen jeweils weniger.

Absurde Situationen

Das führt dann manchmal zu absurden Situationen. Früher waren viele Häuser relativ tief gebaut. Raumhöhen von unter 2 Metern sind keine Seltenheit. Für mich, der ich genau 2 Meter gross bin, ist es nicht sehr praktisch, wenn man in solchen Häusern überall den Kopf anschlägt.

Absurd ist auch, dass eigentlich im Kanton Bern eine minimale Raumhöhe von 2,3 Metern in Neu- und Umbauten vorgeschrieben ist. Der gleiche Staat, der in denkmalgeschützten Häusern häufig die Unterschreitung der Mindestraumhöhe vorschreibt. Noch absurder ist, dass Bauherren, denen von der Denkmalpflege verboten wird, die Innenräume zu erhöhen, bei der Baueingabe ein Ausnahmegesuch für die Unterschreitung der Mindestraumhöhe einzureichen. Auch sind häufig solche alten Häuser sehr dunkel, da sie wenig und kleine Fenster haben. Auch das ginge eigentlich wegen den sonstigen Bauvorschriften nicht, wird aber wegen dem geschützten Status vom gleichen Staat vorgeschrieben, der es sonst verbietet.

Früher waren viele Häuser relativ tief gebaut. Raumhöhen von unter 2 Metern sind keine Seltenheit. Für mich, der ich genau 2 Meter gross bin, ist es nicht sehr praktisch, wenn man in solchen Häusern überall den Kopf anschlägt.

Auch gibt es Fälle von Häusern, die eigentlich zu baufällig sind, als dass man sie noch sanieren könnte. Aber die Auflagen behindern oder verhindern einen Abbruch und Neuaufbau. Anita und Bernhard Mühlethaler aus meiner Gemeinde Unterlangenegg etwa möchten in ihrem Bauernhof den Wohntrakt, der eine sehr schlechte Bausubstanz hat und schon oft umgebaut wurde, abbrechen und zeitgemäss sanieren. Weil das Gebäude aus dem Jahre 1806 als erhaltenswert gilt, ist dies nicht so einfach.

Anita und Bernhard Mühlethaler möchten in ihrem Bauernhof den Wohntrakt abbrechen und zeitgemäss sanieren. Weil das Gebäude aus dem Jahre 1806 als erhaltenswert gilt, ist dies nicht so einfach.

Kürzung des Inventars beschlossen

Das war in etwa die Ausgangslage, als wir in der Bildungskommission des Grossen Rates im Jahr 2014 die Kulturpflegestrategie des Kantons Berns zu beraten hatten. Ein wesentlicher Teil darin war die Denkmalpflege. Fast alle bürgerlichen Mitglieder der Kommission, die mehrheitlich aus dem ländlichen Raum stammen, hatten entweder persönlich oder in ihrem Umfeld negative Erfahrungen mit Heimatschutz und Denkmalpflege gemacht.

Zu dem Zeitpunkt waren wir uns aber nicht bewusst gewesen, wie gross, ja wie aufgebläht, das Inventar der Denkmalpflege ist. Zu dem  Zeitpunkt waren im Inventar der Denkmalpflege im Kanton Bern rund 36'000 Gebäude aufgeführt, etwa 23'000 als erhaltenswert. Eine knappe bürgerliche Mehrheit in der Bildungskommission kam zum Schluss, dass es die Kategorie erhaltenswert gar nicht mehr braucht und dass man das Inventar auf 4 Prozent der Gebäude kürzen könne.

Gewaltiges Lobbying kam in Gange

Der Aufschrei gegen unseren Entscheid war gross. Und ein intensives Lobbying gegen die Kürzung des Inventars kam in Gange. Kein Wunder, denn der Heimatschutzverein ist bestens vernetzt in fast alle Parteien hinein. Namentlich etwa auch in die GLP, die ja eigentlich das Wort "liberal" in ihrem Namen führt. Auch hatte es sogar Grossräte, die selber Mandate des Heimatschutzes wahrnahmen und somit direkt betroffen sind.

Namentlich wehrten sich die Heimatschutzvertreter dagegen, die Kategorie "erhaltenswert" zu streichen. Denn das war ihre eigene Domäne. Hier verdienen sie dank Gutachten sich ihr Geld. Doch immerhin sahen jetzt alle ein, dass das Inventar wirklich zu aufgeblasen ist, viel zu viele Häuser im Inventar sind. Im Januar 2015 beschloss deshalb der Grosse Rat, das Inventar auf 6 Prozent zu kürzen.

Gerangel in die nächste Runde

Doch auch damit war noch nichts Konkretes gewonnen. Denn die Kulturpflegestrategie war ja erst eine Strategie und hatte noch keine Gesetzeskraft. Und der Regierungsrat hatte ja selbstverständlich selber keine grosse Lust, das Thema proaktiv anzugehen. Für uns ergab sich deshalb eine Chance, als das Baugesetz geöffnet wurde. Zusammen mit Mitstreitern aus anderen bürgerlichen Parteien reichte ich mehrere Anträge ein. Unter anderem eben auch einen zur Kürzung des Inventars der Denkmalpflege. Wir verlangten - wie in der Kulturpflegestrategie beschlossen - eine Kürzung des Inventars auf maximal 6 Prozent der Gebäude.

Doch leider ging hinter den Kulissen das Lobbying des Heimatschutz weiter. Die erst ein Jahr zuvor beschlossene Begrenzung von schützenswerten und erhaltenswerten Gebäuden wurde von sechs auf sieben Prozent angehoben. Statt 15'000 Gebäuden, von denen bisher die Rede war, müssen also innert fünf Jahren noch etwa 11'000 aus dem Bauinventar entfernt werden.

Fazit: Der Kanton Bern bewegt sich doch

Und nun hat in den letzten Jahren der Kanton tatsächlich die Reduktion des Inventars an die Hand genommen. Aufwendiger, komplizierter und teuer zwar, als wir es mit der Abschaffung der Kategorie "erhaltenswert" hätten tun können. Aber immerhin können nun 11'000 Hausbesitzer ihr Eigentum freier und einfacher umnutzen. Und das ist gut. Ich bin überzeugt, dass die 11'000 Hauseigentümer das verantwortungsvoll und mit Augenmass tun werden. Sie werden nicht einfach vorsätzlich ihre Häuser verschandeln oder abbrechen.

11'000 Hauseigentümer können ihr Heim nun freier und einfacher umnutzen. Und das ist gut. Ich bin überzeugt, dass die 11'000 Hauseigentümer das verantwortungsvoll und mit Augenmass tun werden.

Aber wenn die Bausubstanz schlecht, die Wohnverhältnisse nicht mehr zeitgemäss und die wirtschaftliche Tragbarkeit nicht mehr gegeben ist, dann ist es besser, die alten Häuser sinnvoll umzunutzen als sie zusammenbrechen zu lassen. Das ist übrigens in der Vergangenheit recht häufig geschehen. Und das kann auch der Staat eigentlich fast nicht verhindern. Denn auch wenn ich selber alte Gemäuer etwas sehr faszinierendes finde und überzeugt bin, dass wir zu unserem architektonischen Erbe Sorgen tragen müssen, muss doch immer noch der folgende Grundsatz gelten: Alte Häuser sind für die Menschen da und nicht umgekehrt!

Noch ein Epilog: Momentan macht gerade die verspätete Eröffnung des Strandbades Thun Schlagzeilen. Ein Grund sind laut "Thuner Tagblatt" auch dort die Auflagen der Denkmalpflege. Dort ist zu lesen:

Schliesslich gibt derzeit auch die Möblierung des Strämu-Beizli, insbesondere die Bepflanzungen und Sitzgelegenheiten aus Paletten, oder die Holzverkleidung des Grills zu reden. «Die Denkmalpflege hat uns mitgeteilt, dass diese Art von Möblierung wie auch ein Blumentopf, der einer römischen Amphore nachempfunden ist, nicht zur Architektur des Haupttrakts passen und deshalb nicht erwünscht sind.» Die jetzige Einrichtung werde deshalb nur als Übergangslösung akzeptiert.

Ich bin jetzt daran abzuklären, was die Denkmalpflege dazu sagt...

Autor: Samuel Krähenbühl