Im Rahmen einer Vertiefungsarbeit am BZI Interlaken wurde ich zu Themen der Nachhaltigkeit interviewt. Ich finde, dass sich die Lektüre durchaus lohnt...
Wie schätzten Sie die ökologische Situation im Kanton Bern (in der ganzen Schweiz) zurzeit ein?
Wir haben im Kanton Bern eine sehr gute Situation bezüglich Umweltschutz. Wir haben sehr saubere Luft. Unsere Gewässer – gerade im Berner Oberland – sind so sauber wie wohl seit Jahrhunderten nicht mehr. Das hat dann zur Folge, dass die Fische im Thuner und Brienzer See weniger Nährstoffe zur Verfügung haben und langsamer wachsen. Gewisse Probleme gibt es beim Littering, also beim Wegwerfen von Abfall. Hierunter leiden namentlich die Tiere und deren Eigentümer, die Landwirte.
Ihrer Ansicht nach, welches Transportmittel ist am umweltunfreundlichsten?
Diese Frage kann man nicht so einfach beantworten. Es kommt immer darauf an, für welchen Zweck, welches Gut und welche Distanz. Wenn etwa ein schwerer Eisenbahnzug, bei dem allein die Lokomotive rund 80 Tonnen wiegt, fast leer herum fährt, ist das sicher weniger ökologisch, als wenn ein Reisecar, der voll besetzt ist, die gleiche Transportleistung übernimmt. Es muss deshalb ein Miteinander und kein Gegeneinander der Transportmittel geben. Velo, Auto, Eisenbahn, Bus, Flugzeug: Es braucht alle Verkehrsmittel, aber alle am richtigen Ort.
In den letzten 12 Jahren vermehrte sich der Fahrzeugbestand um 1 Million. Wie geht der Kanton Bern (die Schweiz) damit um?
Das ist effektiv eine grosse Herausforderung. 2018 waren in der Schweiz 6,1 Millionen motorisierte Strassenfahrzeuge immatrikuliert (ohne Motorfahrräder). Verglichen mit dem Jahr 2000 entspricht dies einer Zunahme von 33 Prozent. Das ist auch eine Folge der ungesteuerten Zuwanderung. Seit Einführung der freien Personenfreizügigkeit (FZA) im Jahr 2007 sind netto über 1.1 Millionen Zuwanderer in die Schweiz gekommen. Das Verkehrswachstum ist einer der Gründe, warum wir die Zuwanderung in die Schweiz wieder entsprechend unseren wirtschaftlichen und ressourcenmässigen Möglichkeiten steuern müssen.
Was macht man, damit die nachhaltige Entwicklung der Schweiz durgeführt werden kann?
Nachhaltige Entwicklung bedeutet mehr als Umweltschutz. Das Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung geht auch wissenschaftlich von der Vorstellung aus, dass nachhaltige Entwicklung nur durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen erreicht werden kann. Für die Befriedigung unserer materiellen und immateriellen Bedürfnisse benötigen wir wirtschaftliches Wohlergehen und eine solidarische Gesellschaft.
Konkret gehören gesunde öffentliche Finanzen und zahlbare Güter in der Grundversorgung der Bürger ebenso zur Nachhaltigkeit wie der Umweltschutz.
Konkret gehören gesunde öffentliche Finanzen und zahlbare Güter in der Grundversorgung der Bürger ebenso zur Nachhaltigkeit wie der Umweltschutz. In der momentanen politischen Debatte sind aber sehr einseitig die umweltpolitischen Aspekte der Nachhaltigkeit im Vordergrund. Das kann aber gefährlich werden. Etwa, wenn Menschen mit niedrigen Einkommen durch die künstliche Verteuerung von Treibstoffen von der Mobilität ausgeschlossen werden.
Gibt es eine Nachhaltigkeitsstrategie?
Im Kanton Bern ist die NE auf strategischer Ebene in der Kantonsverfassung (1995) und als Grundmaxime seit 2007 in den Regierungsrichtlinien verankert. Im Sinne des Brundtland-Berichts der UNO aus dem Jahr 1987 und des Drei-Dimensionen-Modells des Bundesrats aus dem Jahr 2002 versteht der Regierungsrat darunter eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Dabei werden die drei vorher erwähnten Zieldimensionen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft gleichwertig berücksichtigt.
Wie viel Geld gibt der Kanton Bern (Schweiz allgemein) für den Umweltschutz monatlich aus?
Diese Frage lässt sich nicht mit einer einzigen Zahl beantworten. Sicher ist: Es ist eine sehr grosse Zahl mindestens im dreistelligen Millionenbereich. Es wird an vielen Stellen und Bereichen sehr viel in den Umweltschutz investiert. Das fängt bei den Gebäudesanierungen der kantonseigenen Gebäude an, geht über das kantonale Förderprogramm für erneuerbare Energie und Energieeffizienz hin bis zur umweltgerechten Sanierungen von Autobahnen, etwa mit separaten Abwassersammlern. Und, Und, Und.
Da man es bereits weiss, wie schädlich die unzähligen Autos für unsere Umwelt sind, warum ist es nicht möglich, das öffentliche Verkehrsmittel viel günstiger oder gar gratis zu machen? Welche Gesetze könnte man zum Leben erwecken, die das ÖV für die Menschen attraktiver machen würden?
Die Aussage, dass Autos per se schädlich sind, ist schlicht falsch. Ohne motorisierten Strassenverkehr käme unsere Wirtschaft und Gesellschaft praktisch zum Erliegen. Schon allein die Logistik für die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs wäre ohne Strassenverkehr schlicht unmöglich. Unser System würde von einem Tag auf den nächsten kollabieren. Jedes Verkehrsmittel hat seine Vor- und Nachteile. Und jedes hat - wenn es am richtigen Ort eingesetzt wird - seine Berechtigung. Im ländlichen Raum etwa ist es schlicht unmöglich, die Bevölkerung ohne motorisierten Individualverkehr zu erschliessen.
Bei uns im Zulgtal, wo ich herkomme, kann man ohne Auto fast nicht sein.
Bei uns im Zulgtal, wo ich herkomme, kann man ohne Auto fast nicht sein. Zudem hat auch der öffentliche Verkehr - mal abgesehen von den hohen Subventionen, die er braucht, auch ökologische Nachteile. Beispielsweise schleppt kein anderes Verkehrsmittel mehr totes Gewicht mit sich, als ein Eisenbahnzug, bei dem allein die Lokomotive schon über 80 Tonnen wiegt.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat einmal vorgerechnet, wie hoch der Energieverbrauch der Eisenbahn im Fernverkehr im Vergleich mit dem Auto ist. Das erstaunliche Resultat: Wenn wirklich alle Faktoren einbezogen werden, dann verbraucht die Bahn pro effektiv genutzten Personenkilometer mehr Energie als das Auto. Das zumindest rechnet die politisch wirklich unverdächtige FAZ vor. Am ökologischsten unterwegs wäre man - je nach Reisedistanz und Destination - übrigens mit einem Reisebus. Das sagt sogar die Klimaschutz-Stiftung «MyClimate». Eine Car-Fahrt nach Warschau ist ökologischer als eine Zugreise.
Gibt es überhaupt irgendwelche ökologische Projekte?
Ja, sehr viele. Es gibt sie im Gebäudebau mit der Förderung der Wärmedämmung, es gibt sie im Bereich Gewässerschutz und Renaturierungen, wo der Kanton sehr, sehr viel Geld investiert, es gibt sie im Bereich Landwirtschaft, wo der Kanton unter anderem ein Bodenschutzprogramm durchführt. Die Liste liesse sich beliebig verlängern.
Wie schätzten Sie das Interesse der Jugend zum Thema Nachhaltigkeit ein?
Das Interesse der Jugend an der Nachhaltigkeit ist zumindest in der Theorie sicher gross. Ob die Jugend die Nachhaltigkeit auch lebt, da habe ich meine Zweifel. Man muss nicht einmal die berühmten Fotos von Konzerten und Festivals bemühen, wo nach dem Fest der Müll meterhoch liegt. Wenn ich etwa am Mittag in der Stadt Bern in der Nähe der Schulen sehe, wie viel Müll da vom Picknicken am Mittag liegen bleibt, da werde ich schon etwas nachdenklich.
Die Menschen in der Schweiz leben in den letzten Jahren ökologisch bewusster als früher. Wie erklären Sie das?
Diese Aussage stimmt schlicht nicht. Die Menschen reden mehr von Ökologie. Aber ich glaube nicht, dass sie ökologisch bewusster leben. Ich wurde 1977 geboren. In meiner Generation gehörte es noch dazu, dass man Kleider von Geschwistern oder Nachbarskindern getragen hat. Wir haben die Milch mit dem Bidon in der Käserei geholt. Meine Mutter hat vor allem im Dorf eingekauft, hat viel Gemüse selber im Garten angebaut.
In den Ferien blieben wir im Berner Oberland, sind Wandern und Baden gegangen. Ich war bereits 18, als ich das erste Mal das Meer sah. So bin ich aufgewachsen. Man hat nachhaltig gelebt, aber nicht ständig darüber geredet. Heute ist es genau umgekehrt: Es reden alle von Ökologie. Zu Mittag essen aber alle Fast Food und Fertigsalat aus Plastikgeschirr. Die Flugreisen nehmen massiv zu. Jeder hat x-elektronische Geräte, die viel Strom brauchen. Kleider werden billig gekauft und bald einmal wieder weggeworfen. Gemüse lagert auch niemand mehr ein für den Winter.
Sind die Schüler im Kanton Bern (in der ganzen Schweiz) nachhaltig aktiv?
Wie oben erwähnt habe ich den Eindruck, dass sie vor allem von Nachhaltigkeit reden, aber nicht unbedingt nachhaltig leben.
Eine Idee – ein Nachhaltigkeit – Unterricht in den Schweizerschulen als Obligatorium. Wäre das etwas?
Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit - Wirtschaft, Ökologie und Soziales sollen gleichrangig und gleichgewichtig im Schulunterricht Platz haben. Heute müsste man vermutlich vor allem das Gewicht der Ökonomie wieder stärken. Denn nur mit einer starken Wirtschaft kann man auch eine ökologische und soziale Politik machen. Dazu braucht es aber kein neues Schulfach. Die genannten Aspekte müssen in den jeweiligen Fächern eingebracht werden.
Gibt es zurzeit irgendwelche Initiativen, welche Sie auszeichnen würden?
Wichtig ist vor allem, dass wir endlich die Hürden senken, um Kraftwerke für erneuerbare Energie ausbauen können.
Bezüglich Wasser-, Wind- und Biogasenergie haben wir praktisch einen Ausbaustopp.
Bezüglich Wasser-, Wind- und Biogasenergie haben wir praktisch einen Ausbaustopp. Ein sehr wichtiger Vorstoss stammt von Nationalrat Albert Rösti (SVP) mit seiner parlamentarischen Initiative: "Ausbau der Wasserkraft zur Stromerzeugung und Stromspeicherung. Anpassung der Umweltverträglichkeitsprüfung". Tatsache ist: Die allermeisten Projekte für Wind- und Wasserkraft werden wegen Überregulierung, ellenlangen Bewilligungsverfahren und exzessiven Einsprachen durch die Umweltverbände blockiert. Windparks können in der Schweiz wegen den massiven Widerständen praktisch keine gebaut werden.
Wo liegt Ihrer Meinung nach der grösste Unterschied zwischen ökologischen Bewusstsein eines Schweizers und einem Menschen aus einem anderen Land.
Wir sind ein reiches Land. Eines der reichsten der Welt. Wir haben das zweithöchste Bruttosozialprodukt pro Kopf. Wir haben nicht den gleichen Kampf ums tägliche Brot, die nackte Existenz, wie in vielen anderen Ländern. Das Wirtschaftswachstum und der Ausbau der Infrastruktur hat deshalb in solchen Ländern sicher eine höhere Priorität als bei uns. Wir sind reich und haben schon viel Komfort, ja Luxus. Deshalb können wir es uns auch leisten, uns mehr Gedanken über Umweltschutz zu machen. Ob wir dann auch bereit sind, auf Wohlstand zu verzichten, um dem Umweltschutz auszubauen, da habe ich meine Zweifel.