27.2.2022

Was Greta und Putin miteinander zu tun haben

Schweiz und Welt
Der Kreml in Moskau. Von hier aus herrscht der russische Präsident Wladimir Putin. (Bild: Samuel Krähenbühl)

Nein, ich bin kein "Putin-Versteher". Es gibt keine Rechtfertigung, einfach so andere Länder anzugreifen. Die russische Agression auf die Ukraine ist klar zu verurteilen. Trotzdem müssen "wir" uns im Westen Fragen stellen: Wie konnte es soweit kommen? Warum ist der Westen dazu verdammt, ohnmächtig zu zuschauen?

Dazu müssen wir einen kurzen Blick zurückwerfen. Russland ist spätestens seit der Zeit des Zaren Peters des Grossen (1672-1725) eine Grossmacht. Im 19. Jahrhundert wurde Russland neben dem britischen Weltreich zum grössten Imperium der Geschichte. Es reichte - und reicht noch immer - von der Ostsee bis knapp vor die Westküste Alaskas.

Dieses Riesenreich wurde immer wieder von Krisen und Revolutionen durchgeschüttelt. 1812 griff Napoleon Russland an. Und musste sich unter riesigen Verlusten zurückziehen. 1917 kamen dann die Kommunisten an die Macht. Dies, nachdem die Deutschen im 1. Weltkrieg im Osten den Krieg eigentlich gewonnen hatten. Damals wurde die Ukraine zum ersten Mal kurz unabhängig. Nur der Sieg der Entente an der Westfront 1918 sowie der anschliessende Bürgerkrieg liess Sowjetrussland in ähnlicher Grösse wie früher wiedererstehen.

Europa im Kalten Krieg (1946-1990): Blau ist die Nato, rot der Warschauer Pakt. Die weissen Länder waren neutral. (Bild: Wikimedia)

Der Kommunismus des Diktators Josef Stalin sowie der 2. Weltkrieg kostete nach Schätzungen 60 Millionen Bürgern der Sowjetunion das Leben. Wohlgemerkt: Wie schon unter Napoleon war es dieses Mal mit Adolf Hitler erneut ein Politiker aus Europa, der Russland angriff. Trotz dieses riesigen Blutzolls war die Sowjetunion nun zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika eine Weltmacht. Und nach den Amerikanern und Briten auch die dritte Atommacht. Jahrzehntelang beherrschte die Sowjetunion ein Imperium, das weite Teile Europas bis tief in Deutschland hinein beherrschte.

1989 war dann auf einmal alles anders. Der Kommunismus hatte wirtschaftlich und gesellschaftlich dermassen abgewirtschaftet, dass der damalige Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow keine andere Chance hatten, als ein um das andere Land aus seinem Einflussbereich zu entlassen. Mit der deutschen Einigung wurden allerdings zumindest informell auch Versprechen an die Russen getätigt, dass die Nato nicht über Mitteleuropa hinaus ausgedehnt werden sollte.

Es folgten Jahre der Krise unter Präsident Boris Jelzin. Russland war noch immer das grösste Land der Welt, auch wenn es riesige Gebiete verloren hatte. Zahlreiche Staaten entstanden auf seinem Territorium. Als einer der grössten die Ukraine. 1999 trat Jelzin zurück. Sein Land war damals in jeder Beziehung schwach. Sein Nachfolger Wladimir Putin hatte sich auf die Fahne geschrieben, Russland wieder zu neuer Grösse zu führen.

Die Nato-Osterweiterung: Heute ist sogar ehemaliges Gebiet der Sowjetunion selber bei der Nato.

Zeitgleich waren die Europäische Union und die Nato immer weiter nach Osten vorgestossen. Nach und nach wurden immer mehr mittel-osteuropäische Staaten Nato-Mitglied. Darunter mit den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sogar Länder, welche früher russisches Staatsgebiet waren. Die Nato-Aussengrenze war damit auf einmal in unmittelbarer Nähe Russlands. Sogar der Ukraine machte der Westen auf einmal schöne Augen, was Wladimir Putin erst Recht erzürnte.

Wichtig zu betonen ist, dass all diese Länder ja freiwillig der Nato und der EU beigetreten sind. Das war ihr gutes Recht. Und auch im Fall der Ukraine wäre es legitim, wenn diese, bzw. ihr Volk sich dazu entschliessen sollten, sich der Nato und der EU anzuschliessen.

Trotzdem erweist sich diese Entwicklung im Nachhinein als fatal. Denn der Westen hat es gleichzeitig versäumt, diese doch beträchtliche Ostexpansion diplomatisch, militärisch und wirtschaftlich abzusichern:

Diplomatisch: Der Westen hat es versäumt, mit einer Stimme aufzutreten und proaktiv stabile Lösungen aufzubauen. Und vor allem hat man es verpasst, die Russen irgendwie diplomatisch vernünftig einzubinden. Dazu war Europa zu uneinig und die USA unter dem greisen Präsidenten Joe Biden zu schwach geführt.

Militärisch: Europa ist militärisch jämmerlich schwach. Einzig die Franzosen und - die ja aus der EU ausgetretenen Briten - besitzen noch einigermassen vernünftige konventionelle Streitkräfte. Die Deutschen hingegen diskutieren lieber über gendergerechte Sprache und so Sachen, anstatt eine vernünftige Armee aufzubauen. Erst jetzt, als es in Europa brennt, hat die deutsche Regierung endlich beschlossen, ihre eigene Armee wieder aufzurüsten. Tatsache ist, dass ohne die militärische Präsenz der Amerikaner in Europa die Russen einen konventionellen Vorstoss über die Nato-Ostgrenze hinaus weit nach Mitteleuropa wagen könnten. Nebenbei bemerkt: In der Schweiz sammeln SP und Grüne noch immer Unterschriften gegen die Beschaffung neuer Kampfjets.

Wirtschaftlich: Wir sind namentlich im Energiebereich stark abhängig von Putins Russland. Und hier sind wir bei Greta Thunbergs "Friday for Future"-Demos. Selbstverständlich ist diesen nicht die russische Agression anzulasten. Aber sie haben die bereits vorher falsche Energiepolitik namentlich Deutschlands und auch von anderen Ländern wie der Schweiz noch verstärkt. Kernkraftwerke wurden abgestellt, Kohlekraftwerke, welche mit deutscher Kohle liefen, auch. Und weil der Zubau von erneuerbarer Energie im erforderlichen Umfang wohl ein Wunschtraum bleibt, ist die Abhängigkeit von russischem Erdgas massiv gestiegen. Auch in der Schweiz spricht man mittlerweile davon, Gaskraftwerke bauen zu müssen, um aus der drohenden Energieknappheit rauszukommen. Und Wladimir Putin sitzt am längerem Hebel. Dem Gashebel nämlich.

Fazit: Man darf die russische Agression auf die Ukraine mit Recht verurteilen. Aber es wäre heuchlerisch, im gleichen Atemzug nicht die Fehler des Westens auch zu nennen. Und vor allem unsere verfehlte Energie- und Rüstungspolitik subito zu korrigieren.

Autor: Samuel Krähenbühl