22.3.2022

Wer nicht wählt, wählt auch

Bildung
Die Demokratie lebt von der Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Ohne diese ist sie tot.

Die Gross- und Regierungsratswahlen im Kanton Bern stehen vor der Türe. Die Stimmbeteiligung ist aktuell tief, wie erste Meldungen aus den Gemeinden zeigen. Tatsache ist, dass sich die Stimmbeteiligung bei kantonalen Wahlen in den letzten Austragungen bei nur noch 30 Prozent eingependelt hat. Tendenz eher noch sinkend. Das bedeutet, dass mehr als zwei Drittel der Stimmberechtigen der Urne, beziehungsweise dem Briefkasten, fern bleiben.

Ich finde das störend. Und zwar nicht nur deshalb, weil ich selber als amtierender Grossrat bei den Wahlen teilnehme. In anderen Ländern müssen noch heute die Menschen um politische Teilhabe kämpfen. Sie können nicht einfach mitbestimmen, sondern eine Staatspartei oder ein Diktator bestimmt über sie. Sie müssen sich sogar fürchten, wenn sie ihre Meinung öffentlich äussern.

Dabei ist die Demokratie auch die friedlichste Staatsform. Demokratien führen keine Kriege mit Demokratien! Das ist ein bisher unwiderlegtes Axiom. Achtung: Damit will ich nicht behaupten, dass Demokratien überhaupt keine Kriege führen. Aber eben nicht Kriege mit anderen Ländern, welche ebenfalls richtige Demokratien sind. Warum ist das so? Es sind selten die Regierenden, aber immer das Volk, das den Preis für Kriege bezahlen muss. Mit Schmerzen, Leid und Tod. Aber auch mit Zerstörungen und letztendlich auch Steuern.

Aber warum bleiben dann trotz allem so viele Menschen den Wahlurnen fern? Darüber kann man nur mutmassen. Es gibt sicher unterschiedliche Gründe. Einen ganz wichtigen orte ich persönlich auch in der mangelhaften politischen Bildung. Mein Vater, der vierzig Jahre als Sekundarlehrer tätig war, hat immer versucht, seinen Schülerinnen und Schülern die wesentlichen staatspolitischen Kenntnisse beizubringen. Das sind etwa Begriffe wie Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive, Judikative), aber auch die Wahlsysteme (Majorz und Proporz). Oder schliesslich auch ganz praktische Kenntnisse wie das Kumulieren oder Panaschieren von Kandidatinnen und Kandidaten auf den Wahllisten.

Das hat sich geändert. Viele der heutigen Lehrkräfte politisieren lieber mit den Klassen, gehen mit den Schülern an Klimademos oder wollen sonst irgendwie die Welt verbessern. Das Vermitteln von elementaren Kenntnissen über unser politisches System kommt heute mehr denn je zu kurz. Geschichts- und Staatskundeunterricht gibt es im Lehrplan 21 unter diesem Namen nicht mehr. Es heisst "Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG)".

Dass es im neuen Lehrplan weniger um konkret anwendbares Wissen sondern mehr um sozialkonstruktivistische Gefühlsduselei geht, kann hier aus den Zielsetzungen zum Bereich NMG abgeleitet werden:

Die Welt wahrnehmen

Schülerinnen und Schüler nehmen wahr, was sie umgibt und wie Dinge auf sie wirken. Sie drücken eigene Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erfahrungen aus und entwickeln dabei Neugier und Interesse an der Welt.

Sich die Welt erschliessen

Schülerinnen und Schüler erschliessen soziale, kulturelle und natürliche Situationen und Phänomene. Sie stellen Fragen, recherchieren und erkunden die Welt aus verschiedenen Perspektiven. Sie erweitern dadurch schrittweise ihre Kenntnisse und Erkenntnisse.

Sich in der Welt orientieren

Schülerinnen und Schüler ordnen Phänomene, Sachen und Situationen sowie Eindrücke und Einsichten in Zusammenhänge ein. Sie analysieren und beurteilen aktuelle und vergangene Situationen und reflektieren diese. Dabei strukturieren und vertiefen sie ihre Erkenntnisse und entwickeln sachbezogene Konzepte. Sie gewinnen zunehmend Orientierung in der Welt, ausgerichtet auf gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen.

In der Welt handeln

Schülerinnen und Schüler treffen Entscheidungen und handeln reflektiert. Sie setzen Erkenntnisse kreativ und konstruktiv um, wirken an der Gestaltung ihrer Umwelt mit und übernehmen Mitverantwortung für sich selbst, für die Gemeinschaft und für die Gesellschaft. Dabei werden auch Eigenständigkeit, Dialogfähigkeit und Zusammenarbeit mit Blick auf ein kompetentes und zukunftsorientiertes Handeln in der Welt gefördert.

Fazit: Die heutige Schulbildung ist definitiv ein Mitgrund, warum es mit dem staatskundlichen Wissen hapert und damit auch die Stimmbeteiligung bergab geht.

Aber trotzdem entlässt das niemanden aus der Verantwortung. Im Gegenteil. Denn jeder mündige Mensch hat die Möglichkeit, sein Geschick selber in die Hände zu nehmen. Sich zu informieren und sich zu orientieren. Und dann eben auch an die Urne zu gehen. Denn wer nicht wählt, der wählt auch. Er oder sie überlässt den Raum der immer kleiner werdenden Gruppe, welche trotz allem noch an die Urne geht. Und immer weniger bestimmen dann immer mehr, was in unserem Staat geschieht. Das ist nicht gut.

Geht wählen!

Autor: Samuel Krähenbühl